Wir haben uns mit Politik- & Kommunikationsexperten Peter Filzmaier auf einen virtuellen Kaffee zusammengesetzt und spannende Einblicke in seine Arbeits- und Denkweise erhalten. Lest nach, welchen Spruch er von Politiker:innen besonders oft hört, wie er mit dem Thema Objektivität in seinen Kommentaren umgeht und warum wir trotz kommunikativer Überfrachtung schlecht informiert sind.
In Ihrem neusten Buch „Atemlos“ ist zu lesen, dass der Sport Ihr Herz immer höherschlagen ließ als jedes politische Sommergespräch. Warum entschieden Sie sich dann doch, in die politische Richtung zu gehen?
Es gibt eine persönliche und eine sachliche Antwort. Die persönliche Antwort ist: Vielleicht war ich einfach nicht zur richtigen Zeit am richtigen Ort, um Sportreporter zu werden. Die sachlichere Antwort ist: Was ist Politik? Das ist das Treffen von allgemein verbindlichen Entscheidungen, die unser Zusammenleben regeln. Das klingt vielleicht etwas abstrakt, aber wenn man darüber nachdenkt, zeigt sich die enorme Bedeutung. Es werden auf – hoffentlich – demokratischem Wege Entscheidungen getroffen, an die wir uns alle halten müssen. Und was gibt es Spannenderes? Was gibt es, dass jede:n Einzelne:n von uns so sehr betrifft?
Nach welchen Werten bauen Sie Ihre politischen Kommentare bzw. Analysen auf?
Also zunächst muss man zwischen Analyse und Kommentar, auch wenn es hier selbstverständlich Überlappungen gibt, unterscheiden: Der Kommentar soll auf jeden Fall mehr Meinung enthalten. Die Basis bei beiden ist jedoch dieselbe: Es sollte datengestützt sein! Wobei der Begriff datengestützt in zweifacher Hinsicht oft falsch oder unzureichend verstanden wird. Erstens: Es handelt sich dabei um einen Datenfundus von vielen Jahren und nicht von einer kurzen Umfrage. Zweitens: Daten sind bei weitem nicht nur Zahlen. Bei einer banalen Frage wie „Haben Sie Angst vor Arbeitslosigkeit? Ja oder Nein?“ bekomme ich mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Ja-Antwort. Das Ausmaß der Emotion kann ich so in Prozent nicht messen. Es geht nicht immer nur um Zahlen.
Wie schaffen Sie es bei Ihren politischen Kommentaren, die eigenen Präferenzen und Ansichten auszuschalten?
Die Antwort wird Sie überraschen, denn: Die vollkommene Objektivität gibt es nicht! Im Gegenteil – es war jahrzehntelang (und ist es heute noch) ein Kennzeichen semi-demokratischer oder nicht-demokratischer Systeme einen absoluten Objektivitätsanspruch zu stellen. Wichtiger ist Transparenz, also Quellen zu nennen. Wenn ich Daten interpretiere und jemand sieht sich die Quellen an, dann kann die Person darüber diskutieren und eine andere Interpretation vorschlagen. Eine schnelle Erwähnung von Quellen geht sich auch in den kurzzeitigen Aufmerksamkeitsmustern der Medien aus. Ich habe mit dem ORF einen Analytiker-Vertrag, der seit mittlerweile weit über einem Jahrzehnt jegliche Tätigkeit für politische Parteien oder für Politiker:innen ausschließt. Auch das ist auf jeden Fall wichtig transparent zu machen. Aber Tatsache ist: Niemand kann vor Analysen und Kommentaren Grundwerte an der Garderobe abgeben und das soll man auch nicht. Bei beispielsweise rassistischen Kommentaren kann es keine Objektivität geben, um Pro und Kontra zu diskutieren. Da muss die persönliche Überzeugung mit der Analyse identisch sein und die muss lauten: Dieser Rassismus ist widerlich.
Im Dezember meinten Sie in einem Interview, dass es in einem großen Teil der Bevölkerung Informationsdefizite über das Coronavirus gibt. Sind Sie der Meinung, dass diese Informationsdefizite mittlerweile vermindert werden konnten?
Nach den Daten sind diese Informationsdefizite – so unglaublich das auf den ersten Blick auch klingen mag – immer noch vorhanden. Es sagt sogar eine Mehrheit, dass sie sich zu wenig informiert fühlt. Zum Beispiel, dass die Hintergründe über politische Entscheidungen bei den Corona Maßnahmen nicht ausreichend erklärt werden.
Warum ist das so?
Einerseits besteht natürlich ein Communicative Overload, also eine kommunikative Überfrachtung, die aber trotzdem nicht alle Informationsdefizite beseitigt. Ein möglicher Grund ist, dass furchterregende Kommunikation auch oft zu einer Verweigerung des Themas führt – das wissen wir aus der Kommunikationswissenschaft. Salopp gesagt: Niemand hält es aus, 24 Stunden am Tag und das sieben Tage die Woche, Angst zu empfinden. Eine häufige Reaktion ist dann oft: „Da hör ich jetzt einfach nicht mehr zu.“
Ein zweiter Grund ist: Wir haben immer unvollständige Informationen. Also egal, ob das alle Corona Informationen sind oder alle Informationen zum Klimawandel. Niemand von uns kann diese Millionen oder Milliarden Informationen, die es weltweit dazu gibt, aufnehmen. Das Problem ist, dass Menschen oft sagen: „Das ist mir zu viel an Information, also kopple ich mich teilweise vollkommen ab.“ Und genau das ist spannend bei der kommunikativen Überfrachtung. Denn wo ist die Grenze zu einem Thema? Für den einen sind zwei Informationen besser als eine. Wahrscheinlich sind auch zehn oder vielleicht sogar hundert Informationen besser als eine. Wenn Sie aber jetzt eine Millionen Informationen haben, sagen Sie irgendwann „Stop, das ist mir zu viel.“ Die Schwierigkeit ist, zu definieren, wo diese Grenze ist – genauso viele Informationen müsste man geben.
Gibt es Ihrer Meinung nach noch anderen Maßnahmen, wie man dem entgegenwirken kann? Ist hier vielleicht eine neue Art der politischen Kommunikation gefragt?
Es ist auf jeden Fall eine neue Art der politischen Kommunikation in der Krise gefragt. Denn das Kriterium ist für mich gar nicht so sehr „Gibt es genug Informationen?“, sondern: „Erreiche ich wirklich alle Gruppen der in Österreich lebenden Menschen beziehungsweise der weltweit lebenden Menschen?“ Nur wenn ich alle erreiche, können wir die Pandemie gemeinsam erfolgreich bekämpfen oder zumindest einschränken. Das Problem ist, dass in der Politik, aber auch in anderen Bereichen, diese Kommunikationsform „ich muss alle ansprechen, anstatt nur bestimmter Zielgruppen“ gar nicht so häufig vorkommt. Das heißt, die Politik muss es in der Krisenkommunikation sowie in einer Pandemie schaffen, vor allem auch die zu erreichen, die einen eigentlich nicht mögen. Denn in der Krisenkommunikation ist nicht das Problem, die jeweils eigenen Anhänger:innen, die mir sowieso alles glauben, sondern gerade die, die mir tendenziell zunächst mal mit extremem Misstrauen begegnen, anzusprechen und zu überzeugen. Das ist sehr schwierig und da hat die klassische politische Kommunikation auch wenig Erfahrung. Bei einer Wahl habe ich eine absolute Mehrheit, wenn sich 50 % plus eins für mich entscheiden. Bei den Corona Maßnahmen habe ich wahrscheinlich noch nicht so viel erreicht, wenn sich nur 50 % plus eins an die Maßnahmen halten würden.
Die Regierung hat letztes Jahr stark mit Angstkommunikation gearbeitet. Was wäre Ihrer Meinung nach eine bessere Strategie gewesen, langfristig und nachhaltig mit der Bevölkerung zu kommunizieren, um das Vertrauen bzw. eine gewisse „Folgsamkeit” beizubehalten?
Das ist mir wichtig: Ich bilde mir überhaupt nicht ein, das Patentrezept zu haben. Das mit der furchterregenden Kommunikation, also Angstmachen, ist eine extrem schwierige Gratwanderung. Man hat mit durchaus furchterregender Kommunikation begonnen, Stichwort „100.000 Tote“, wovon wir – zum Glück – weit entfernt sind. Über den Sommer wurde dann fast beschwichtigend kommuniziert, im Herbst wurde stark an die Eigenverantwortung appelliert – was prinzipiell immer richtig gewesen wäre. Das Hin und Her war es sicher nicht.
Ähnlich war es beim Thema Expertenkommunikation. Da hat man zunächst eher nur auf die Politikerkommunikation gesetzt. Sie erinnern sich an das sogenannte virologische Quartett: Bundeskanzler, Gesundheitsminister, Vizekanzler und Innenminister. Erst später wurden gezielt epidemiologische und medizinische Expert:innen beim Politiker-Auftreten dazu gebeten. Das halte ich übrigens grundsätzlich für richtig. Ich vertraue der Fachkompetenz der Expert:innen. Warum sollte ich einem Minister oder Kanzler, egal welcher Partei, egal in welcher Funktion, die Fachkompetenz als Virologe oder Epidemiologe zutrauen? Umgekehrt traue ich Expert:innen Durchsetzungskompetenz nicht zu. Deshalb ist ein gemeinsames Auftreten richtig.
Der dritte Punkt, bei dem ich in der Kommunikation mangelnde Kontinuität feststelle: Es gab keine klare Logik von Zahlen und von Entscheidungen. Denken Sie einfach an die ersten Monate von 2021: Da war Lockdown. Zuerst wurde gesagt, dass es ab einer Inzidenz von unter 50 – also Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner:innen pro Woche – wieder Lockerungen gibt. Da wurde zunächst schleichend 100 draus, um dann bei 150 zu lockern. Und jetzt ist es in jedem Bundesland verschieden. Es war ein Lerneffekt seitens der Politik, aber den hätte man früher haben müssen. Zeitprognosen haben leider noch nie gehalten. Die Politik setzt sich selbst unter Druck, wenn sie sagt, „zum Punkt X können wir wieder öffnen“, auch wenn Epidemiolog:innen vielleicht zum Gegenteil raten.
Welche Trends sehen Sie im Bereich PR von politischen Organisationen? Bzw. gab es Entwicklungen in der politischen Kommunikation, die Sie als besonders spannend empfunden haben?
Sie wurde hyperprofessionalisiert und ist gigantisch immer mehr geworden. Auf einer universitären Tagung hat Armin Wolf schon vor sehr vielen Jahren einen Vergleich gebracht, dass es allein in Wien mehr Angestellte in der politischen PR als politische Journalist:innen gibt. Betrachtet man den gesamten Social Media Bereich – das ist aber jetzt ein sehr persönlicher Eindruck – gibt es nur einen quantitativen und keinen qualitativen Fortschritt und es fand eher eine problematische Entwicklung statt: Das professionelle Verhältnis zwischen politischer Presse und PR-Arbeit einerseits, und Journalismus andererseits. Das müsste besonders sachlich in getrennten Bereichen sein und Respekt vor der Arbeit des anderen haben, aber auch Anerkennung fürs Grenzen-Haben. Österreich hat viele Jahre eher die Gefahr der Verhaberung dieser beiden Bereiche gehabt. Jede:r darf den Job wechseln, aber: Von heute auf morgen sollte man nicht vom Journalist:innen zum Pressesprecher oder umgekehrt werden. Jetzt ist es eher so, dass dieses wechselseitige Misstrauen bis hin zur Aggressivität fast zunimmt – was nicht heißt, dass es die Verhaberung nicht trotzdem noch gibt. Richtig wäre einfach ein Verhältnis der Äquidistanz und des Respekts.
Nachdem wir jetzt schon die ganze Zeit von Politiker:innen sprechen: Haben Sie Lieblingsausweichantworten von Politker:innen, die Ihnen im Gedächtnis geblieben sind bzw. die man oft zu hören bekommt?
Ein Klassiker ist zum Beispiel: „Ich sage Ihnen ganz offen“. Da kommt nachher mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit im Nebensatz etwas Ungesagtes, eine Abweichung vom Thema, eine Beschönigung oder dergleichen. Ein humoristischer Klassiker – wobei Menschen passieren Hoppalas, das meine ich nicht despektierlich: Der ehemaliger Sozialminister der FPÖ hat den Ausdruck geprägt „ich sage Ihnen in der Klarheit“. Er war allerdings für Stilblüten berühmt und hat dann auch gesagt „ich bin nicht der Schatten Jörg Haiders, der vor ihm hergeht“. Was physikalisch ein interessantes Bild wäre.
Zum Abschluss: Gibt es irgendetwas, das Sie den jungen Menschen gerne mit auf den Weg geben möchten?
Also keine Lebensweisheiten, die finden Sie selbst besser heraus. Ich habe eigentlich einen Lebenssatz, den ich Studierenden aller Disziplinen vollbefangen als Politikwissenschaftler mitgeben möchte: Wenn Politik die Regeln vom menschlichen Zusammenleben durch allgemein verbindliche Entscheidungen bestimmt – also uns im Alltag vom Straßenverkehr über die Schule und Universitäten bis zu den Steuern, täglich jede Minute betrifft – dann sollte sich auch jede:r sehr dafür interessieren. Denn der Satz, „wenn ich die Politik in Ruhe lasse, dann lässt sie auch mich in Ruhe“, kann nicht funktionieren.
Wir bedanken uns herzlich bei Peter Filzmaier für seine Zeit.
Die Autorinnen:
v.l.n.r: Wiktoria Prokopiuk, Emilia Messinger und Josephine Ziegler sind Studentinnen der FH St. Pölten des Studiengangs Marketing und Kommunikation.